Die digitale Patientenakte – ein Begriff, der nach Fortschritt klingt, nach effizienter Versorgung, besserer Kommunikation im Gesundheitswesen und weniger Bürokratie.
Doch die Realität in Deutschland sieht anders aus: Statt eines flächendeckenden Rollouts Anfang 2025 steckt das Projekt noch in der Pilotphase. Viele Arztpraxen und Patienten fühlen sich überfordert oder gar übergangen, zentrale Funktionen – wie etwa der Zugriff durch Notärzte – fehlen noch immer, und Sicherheitsbedenken werfen einen langen Schatten auf das Vorhaben. Dabei ist das Potenzial riesig: Mit der richtigen Umsetzung könnte die ePA nicht nur Prozesse verschlanken, sondern auch die Qualität der medizinischen Versorgung verbessern – durch KI-gestützte Diagnosen, automatisierte Arztbriefe oder individualisierte Therapieempfehlungen.
Podcast zur digitalen Gesundheitsakte – Status quo, Probleme und Hoffnung
Im Podcast spreche ich mit dem Digitalisierungsexperten Sebastian Büttner. Schnell wird im Gespräch klar, dass es nicht an der Vision fehlt, sondern an Kommunikation, Einbindung und mutigem Projektmanagement. Wie lassen sich diese Hürden überwinden? Welche Rolle spielen Start-ups, Förderprogramme und technologische Innovationen in der Gesundheitsbranche? Und wie könnte eine echte Gesundheitsplattform der Zukunft aussehen – vernetzt, intelligent und patientenzentriert? Genau darum geht es in dieser Folge. Ein Thema, das uns alle betrifft – und das endlich die Aufmerksamkeit verdient, die es braucht.
Die digitale Patientenakte (ePA) gilt als zentrales Element der digitalen Transformation im deutschen Gesundheitswesen.
Ihr Ziel ist es, medizinische Informationen patientenzentriert, sicher und jederzeit verfügbar zu machen – über Praxen, Krankenhäuser und Notfalldienste hinweg. Doch die Realität sieht aktuell anders aus: Die ePA befindet sich noch in der Pilotphase, der bundesweite Rollout ist verschoben, und sowohl Fachkreise als auch Patienten äußern deutliche Kritik. Das Problem ist nicht die Vision, sondern die Umsetzung.
Ein zentrales Defizit liegt in der mangelhaften Kommunikation und Einbindung der Anwender. Viele Ärztinnen und Ärzte fühlen sich überfordert oder nicht ausreichend informiert. Patienten wissen oft nicht, was die ePA überhaupt leisten soll – und warum sie sich aktiv dafür entscheiden sollten. Das sogenannte Erwartungsmanagement wurde auf allen Seiten vernachlässigt. Das führt zu Unsicherheit, Ablehnung und – wie der Experte Sebastian Büttner im Podcast beschreibt – einer Spaltung zwischen Projektbeteiligten und Nutzern.
Technische und sicherheitsrelevante Probleme bei der digitalen Gesundheitsakte
Hinzu kommen technische und sicherheitsrelevante Probleme, die das Vertrauen weiter erschüttern. So wurde bereits 2024 vom Fraunhofer-Institut sowie vom Chaos Computer Club auf Sicherheitslücken hingewiesen. Gerade im sensiblen Gesundheitsbereich ist Vertrauen aber der entscheidende Faktor. Ohne transparente Standards und klar kommunizierte Schutzmaßnahmen wird es schwer sein, breite Akzeptanz zu gewinnen. Besonders kritisch ist zudem, dass Notärzte derzeit keinen Zugriff auf die ePA haben – eine eklatante Lücke in der Versorgung.
Das gesamte Gesundheitssystem muss sich transformieren
Gleichzeitig steckt in der ePA enormes Transformationspotenzial für das gesamte Gesundheitsökosystem. Wenn medizinische Daten zentral verfügbar sind, könnten KI-gestützte Systeme frühzeitig Muster erkennen, Arztbriefe automatisch generieren oder auf gefährliche Wechselwirkungen bei Medikamenten hinweisen. Das würde nicht nur die Versorgungsqualität verbessern, sondern auch den zeitlichen Aufwand für medizinisches Fachpersonal deutlich reduzieren. So könnten Ärztinnen und Ärzte wieder mehr Zeit mit ihren Patient:innen verbringen – und weniger mit Dokumentation.
Die digitale Gesundheitsakte bietet Potenzial für neue Geschäftsmodelle
Darüber hinaus könnte die ePA als Basis für neue digitale Geschäftsmodelle dienen. Eine vernetzte Gesundheitsplattform, die neben medizinischen Informationen auch Fitness-, Ernährungs- oder Lifestyle-Daten bündelt, wäre denkbar. Über eine freiwillige Integration von Wearables und persönlichen Gesundheitsdaten könnten individualisierte Empfehlungen, Frühwarnsysteme oder auch Beitragsmodelle bei Krankenkassen entstehen. Hierfür braucht es jedoch nicht nur technische Infrastruktur, sondern auch eine klare ethische und regulatorische Grundlage.
Fördermaßnahmen rund um die digitale Patientenakte
Ein weiterer Hebel für die Zukunft liegt in der Förderung digitaler Innovationen im Gesundheitsbereich. Start-ups und Technologieanbieter können durch gezielte Förderprogramme beim Markteintritt unterstützt werden. Sebastian Büttner zeigt im Gespräch konkrete Wege auf: Mit seinem Unternehmen „Quantum Beyond“ hilft er medizinischen Einrichtungen, Fördermittel zu nutzen und Investitionen in Digitalisierung vorzufinanzieren. So können Hürden wie hohe Anfangsinvestitionen überwunden werden, ohne dass kleine Praxen oder Kliniken das volle Risiko tragen müssen.
Fünf Fakten zur digitalen Patientenakte zusammengefasst
- Die ePA ist eine große Vision mit schwacher Umsetzung
Obwohl die digitale Patientenakte enorme Potenziale für eine effizientere und patientenorientierte Gesundheitsversorgung bietet, ist der aktuelle Stand von mangelhafter Projektsteuerung und unklarer Kommunikation geprägt.
- Zentrale Funktionen fehlen im Alltag
Kritische Anwendungsfälle wie der Zugriff von Notärzten auf Patientenakten sind derzeit nicht möglich – ein grundlegendes Versäumnis in einem System, das im Notfall Leben retten soll.
- Sicherheitsbedenken hemmen die Akzeptanz
Mehrere Prüfungen, u. a. durch das Fraunhofer-Institut und den Chaos Computer Club, haben Sicherheitslücken aufgedeckt. Ohne ein starkes Vertrauen in den Datenschutz wird die ePA kaum flächendeckend angenommen werden.
- Technische Komplexität trifft auf fehlende Standardisierung
Unterschiedliche IT-Systeme in Arztpraxen, fehlende Schnittstellen und heterogene Prozesse erschweren die Integration und machen die ePA zu einem hochkomplexen Vorhaben – das bislang nicht ausreichend koordiniert wird.
- Kommunikation und Mitnahme der Beteiligten fehlen
Viele Ärzt:innen und Patient:innen wissen nicht, welchen Nutzen die ePA bringen soll. Die fehlende transparente Kommunikation über Ziele, Nutzen und nächste Schritte hat zu Misstrauen und Ablehnung geführt – und damit die Akzeptanz massiv erschwert
Meine fünf Learnings aus dem Podcast
- Gute Technologie braucht gutes Erwartungsmanagement
Selbst die beste digitale Lösung scheitert, wenn Ärzt:innen und Patient:innen nicht frühzeitig einbezogen, informiert und überzeugt werden. Ohne Mitnahme der Beteiligten entsteht Widerstand statt Vertrauen.
- Komplexität darf kein Vorwand für Stillstand sein
Ja, das Gesundheitssystem ist technisch und organisatorisch anspruchsvoll – aber andere Branchen wie Fintech haben ähnliche Hürden erfolgreich gemeistert. Es braucht Mut, klare Verantwortlichkeiten und ein strukturiertes Vorgehen.
- Sicherheit ist kein „Nice-to-have“ – sie ist Grundvoraussetzung
Insbesondere bei sensiblen Gesundheitsdaten ist Datenschutz entscheidend. Nur wenn Nutzer:innen sicher sein können, dass ihre Informationen geschützt sind, wird die ePA breite Akzeptanz finden.
- Innovation entsteht nicht aus der Verwaltung heraus, sondern durch gezielte Förderung
Start-ups, Technologieanbieter und digitale Pioniere im Gesundheitswesen brauchen Zugang zu Fördermitteln, niedrigere Markteintrittsbarrieren und Raum zum Testen – nur so entsteht echte Disruption.
- Die ePA kann mehr als nur Akte sein – wenn man sie strategisch denkt:
In Kombination mit KI, Wearables und vernetzten Systemen kann aus der Patientenakte ein intelligenter Gesundheitsassistent werden – mit echten Mehrwerten für Versorgung, Prävention und Systemeffizienz.
Fazit
Die digitale Patientenakte steht sinnbildlich für den Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit im deutschen Gesundheitssystem. Die Idee ist stark: medizinische Daten zentral, sicher und zugänglich für alle Beteiligten – ein Meilenstein in Sachen Effizienz, Patientenorientierung und Versorgungsqualität. Doch die Umsetzung offenbart gravierende Schwächen: mangelnde Kommunikation, fehlende Sicherheit, technische Fragmentierung und unzureichende Einbindung der Anwender.
Trotz dieser Herausforderungen bietet die ePA enormes Potenzial – nicht nur zur Entlastung von Praxen und Kliniken, sondern auch als Basis für ganz neue, datengetriebene Geschäftsmodelle. Mit KI, Schnittstellen zu Wearables und einem offenen Innovationsklima könnte eine echte Gesundheitsplattform entstehen, die Prävention, Diagnostik und Versorgung intelligent verbindet.
Was es jetzt braucht, ist ein Umdenken: mehr Transparenz, ein klarer Fahrplan, Investitionen in digitale Infrastruktur – und vor allem: die aktive Einbindung von Ärzt:innen, Patient:innen und Technologieanbietern. Nur so wird aus einer politischen Pflichtübung ein zukunftsfähiges System, das den Namen „digital“ wirklich verdient.
Fragen aus dem Podcast
- Wie ist der aktuelle Status quo der digitalen Patientenakte (ePA) in Deutschland?
- Welche Kritikpunkte wurden bisher im Zusammenhang mit der ePA laut?
- Was genau ist der Zweck und das Ziel der elektronischen Patientenakte?
- Warum sind bestimmte Funktionen – etwa der Notarztzugriff – noch nicht verfügbar?
- Welche sicherheitsrelevanten Schwachstellen wurden festgestellt?
- Warum fühlen sich viele Patienten und Ärzte überfordert oder unzureichend informiert?
- Wie realistisch ist der geplante Zeitrahmen zur vollständigen Einführung?
- Welche Rolle spielt die Systemvielfalt in Arztpraxen und Kliniken beim ePA-Rollout?
- Welche neuen digitalen Geschäftsmodelle könnten sich rund um die ePA entwickeln?
- Wie könnte künstliche Intelligenz in der Patientenakte sinnvoll integriert werden?
- Welche Effizienzgewinne wären durch Automatisierung in der Praxis möglich?
- Wie könnte eine vernetzte Gesundheitsplattform über die ePA hinaus aussehen?
- Welche Vorteile könnten Krankenkassen oder Versicherte aus einer vernetzten ePA ziehen?
- Wie lässt sich eine faire Bewertung individueller Gesundheitsdaten sicherstellen?
- Welche Rolle sollte der Staat bei der Entwicklung und Kontrolle einer solchen Plattform spielen?
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